Vom Alltagsgegenstand zum autonomen Objekt
Dieter Zimmermann hat es sich zur Aufgabe gemacht, dort etwas zu entdecken, wo andere schon längst garnichts mehr sehen. Was ihn interessiert, spielt sich dort ab, wo vom schönen Schein und den glitzernden Oberflächen unserer schnellebigen Zivilisation nurmehr ihre unnützen und unbenützbaren Reste übrig sind. Seit Jahren sammelt er das ausgemusterte Inventar unserer Überflußgesellschaft: Bruchstücke von verbrauchten Alltagsgegenständen, zersplitterte Teile von Obstkisten, verbogene Metallgitter, verrottete Holzfenster; ein Arsenal des Vergessenen; das befreit von seinen ehemaligen Funktionalitätszusammenhängen nun zum poetischen Kunst-Stoff wird.
Bei diesen Arbeiten sind die Fundstücke zum eigentlichen Inhalt, zum Sinn selbst geworden.
Mehr und mehr wird es dabei zur Aufgabe für den Künstler, nur noch ganz geringfügig in das vorhandene Material einzugreifen und stattdessen allein durch Auswahl und Kombinationen des Gefundenen seine spezifische Aura zur Erscheinung zu bringen.
Mit diesem Anliegen reiht sich der Autodidakt in einen großen kunstgeschichtlichen Kanon ein.
Das muß freilich nicht allzusehr belasten, denn wie bei aller Kunst, die ihren Wirkstoff direkt aus den armen, abgelegten Resten unserer Wirklichkeit bezieht, ist hier nicht die Neuheit des Ansatzes entscheidend, sondern allein die Überzeugungskraft, die das konkrete Objekt ausstrahlt. Und was das anbelangt, kann Zimmermann einiges vorweisen.
Entscheidend dazu beigetragen hat dieTatsache, daß er sich nach anfänglichen leichten Unsicherheiten inzwischen zu einem strikt duchgehaltenen Reduktionsprinzip bekennt. Die verständlichen Sehnsucht danach, die gefundene Wirklichkeit durch möglichst viele künstlerische Eingriffe sozusagen nachzubessern, ist von einer Haltung abgelöst worden, die der Eigenwertigkeit der Fundstücke soweit zu trauen gelernt hat,daß sie die „Bearbeitung“ auf ein Minimum beschränken kann.
So begegnen wir einem armseligen,durchscheinend weiß gestrichenem Preßspanquadrat, auf dessen Oberkante ein abgebrochenes Eck einer Obstkiste montiert ist, einer Restleiter, auf der drei Kerzen stecken oder einem von zwei Stelzen gehaltenen alten, zerschrammten Holzbrett.
Was alles diese Arbeiten auszeichnet, ist die Präzision, sowohl in der Auswahl, als auch in der Kombination ihrer Elemente zueinander. Was wir sehen, ist nicht eine Lösung unter vielen, sondern die einzig mögliche, nämlich die, die das Werk so erscheinen läßt, als seien seine Bestandteile schon immer genau für diese eine Verbindung bestimmt gewesen.
Natürlich ist der Moment, an dem diese Transformation vom unscheinbaren, fragmentarisierten Alltagsgegenstand zum autonomen Objekt eintritt, nie von vornherein zu benennen oder gar zu planen. Er stellt sich entweder ein, unvermutet, plötzlich und glückhaft, oder er muß mühsam gesucht werden. So bleiben manchen seiner Arbeiten wochen- oder monatelang liegen fast fertig, fast „richtig“, aber eben noch ohne das entscheidende Quentchen, das sie erst zu überzeugtem Leben weckt.
Im schlimmsten Fall führt es dazu,daß sie irgendwann „in den Ofen wandern“, wie Zimmermann nüchtern zugibt. Im Idealfall aber verdichten sie sich zu traumsicheren Ergebnissen, wie in diesem querliegenden weißen Brettchen mit einem senkrecht verlaufenden Riß, auf dem sich Form und Farbe eines bereits vorhandenen Farbflecks mit einem hinzugefügten rostig-angefressenen Stück Metall so perfekt verbinden, als wäre das Metall eigens für diesen Zweck gealtert.
Am allerschönsten aber glückt Zimmermann seine Gratwanderung da, wo seine Arbeiten so still, verhalten und meditativ werden, daß sie beinahe verschwinden: Auf eine weiße Preßspanplatte hat er ein kleines ausgefranstes, ebenfalls geweißeltes Stück Holz genagelt und dann in einer einzigen, vom Brettchen ausgehenden Bewegung eine offene Kreisspur auf die weiße Plattenoberfläche geritzt.
Wenn man so will ein Bild, in dem sich der Ursprung aller Kunst spiegelt:
Die Linie gräbt dem umgebenen Nichts ihre Gestalt ein, als energische, unkorrigierbare Setzung.
Aber natürlich auch ein Bild einer künstlerischen Demutshaltung, denn die Linie beschreibt nichts - auch nicht einen Kreis, da der ja offen bleibt -
sondern umreißt nur eben jene weiße Leere, die dadurch erst recht zum Zentrum, zum Inhalt der Arbeit wird.
Von diesem Punkt aus weiterzuarbeiten, ist zugegeben nicht einfach. Zimmermann weiß das, er weiß auch, daß es hier erst richtig interessant wird, und sei es um den Preis, daß irgendwann nur noch das reine, unbehandelte Fundstück als Kunstobjekt übrig bleibt. Auch diese Erfahrung hat er bereits gemacht.
Vom Meer hat er ein großes, blaubemaltes, zerkratztes Holzbrett mitgebracht und dann zuhause festgestellt, daß es an diesem mit gestischen Grafismen übersähten blaßblauen „Informel“- Bild einfach nichts zu verbessern gab. Seitdem ist dieses Brett für Dieter Zimmermann ein gültiges, fertiges Kunstwerk. Und darüber hätte sich Beuys sicher ziemlich gefreut.
Stephan Berg im November 1991 anlässlich einer Ausstellung in der Galerie Krohn/Badenweiler.