Warum in solchen Zeiten noch Kunst?


Solche Zeiten:
Krisengebiete auf der ganzen Welt
Globale Erwärmung
Naturkatastrophen
Amokläufe
Weltwirtschaftskrise
Drastische Zunahme der psychischen Erkrankungen
Alle 3 Minuten verdurstet ein Mensch.

Wäre es nicht angebracht all seine Kräfte zu mobilisieren um Änderungen herbeizuführen, anstatt sich mit Kunst zu beschäftigen und sich der Welt des schönen Scheins zu widmen?

Fangen wir einmal ganz vorne an und fragen uns wie kommt überhaupt etwas in die Welt?


Zur Anschauung kann uns eine Kerze helfen.
Sie besteht aus Wachs (Talg, Stearin) und einem Docht. Aber das Wachs muss sich verflüssigen und zu Gas werden, damit es brennen, leuchten und wärmen kann.

1. Ganz außen die Wärme. Gegen einen Wärmeaustausch können wir dauerhaft nichts unternehmen. Im Endeffekt lässt der dickste Styroporklotz einen Temperaturaustausch zu, und in der besten Thermoskanne ist nach einer Woche auch nur noch kalter Kaffee.
2. Das brennende Gas leuchtet. Das Licht lässt sich leicht mit einer dunklen Pappe abschirmen.
3. Dann das Wachs: flüssig und fest.

Also die Abfolge: Erst die Wärme, dann das Licht, dann das Flüssige, dann das Feste. So geht es auch uns Menschen, wenn wir vor einer neuen Aufgabe stehen, ein Problem zu lösen haben. Wir erwärmen uns für eine Sache, sind bereit sie anzugehen, wir gehen mit dem Problem schwanger. Dann der Geistesblitz, eine Idee stellt sich ein, wir sind von einer möglichen Lösung wie erleuchtet. Erste Skizzen, Niederschriften, die Idee nimmt Kontakt mit dem Kontext, mit der Wirklichkeit auf. Dann die Realisierung, die Idee gerinnt ins Stoffliche, wird wahrnehmbar, ist Wirklichkeit geworden.Von hier aus dann die Wirksamkeit unseres Werkes in die Welt.Vom Festen aus gesehen verflüssigen sich diese, werden leichter werden Gas, werden Licht, werden Wärme, unsere Taten werden in der Welt wirksam. Sie verändern die Welt und wir sind für sie verantwortlich. Und hier haben wir den wunderbaren Übergang von physischer Wärme in seelische Wärme. Der Mensch kann für seine Mitmenschen Wärme entwickeln, seelische Wärme, die das wirkliche Gegenbild der physischen Wärme ist.

Bei unserer Kerze kommt vor der Wärme der Mensch ins Spiel, er hat die Kerze entzündet, er war der Verursacher, daß das Wesen der Kerze zur Erscheinung kommen konnte.
Auf den Menschen bezogen stellen sich die Fragen, woher kommen die moralischen Impulse zu ihm, woher kommen seine Ideen, die sich zu Idealen verdichten können, um die Welt zu erwärmen?

Aus unserer Kerze sind nun schon drei geworden. Eine die ich mir anfertige oder kaufe, eine Haushaltskerze, 3 Stück 1 Euro. Die zweite ist die brennende Kerze, ich habe sie angezündet, ihr Wesen kommt zur Erscheinung. Aber dann, eine festlich gedeckte Tafel, Gäste, oder ein stiller Abend zu zweit, dazu Kerzenlicht. Unsere Seele erleuchtet und erwärmt von der dritten Kerze.

Welch ein Unterschied: Eine Weihnachtsfeier in den Kriegsjahren mit einem letzten Kerzenstumpf, oder die vergessene herunter brennende Kerze in einer verlassenen Wohnung. „Als wenn eine Sternschnuppe fiele und keiner hat sich etwas gewünscht“.

Wenn wir die Kerze nutzen, vielleicht zum Lesen oder Schreiben, kommt ihr Wesen, ihre Bestimmung zur Erscheinung. Kann die Kerze unsere Stimmung erhellen oder unsere Seele erwärmen, dann fügen wir der Kerze etwas hinzu. Das erste Hinzufügen ist das Anzünden, wir „helfen“ der Kerze in ihre Bestimmung. Das zweite Hinzufügen ist unsere Seelenstimmung, unser Genießen und das Würdigen der Kerze. Das heißt eine Kerze ist erst dann eine wahre Kerze, wenn sie brennt, oder noch weitergehend, wenn sie uns im Alltag hilft, durch leuchten und wärmen, oder noch weitergehend, wenn sie uns unsere Seele erwärmt. So ist es auch mit all den anderen Dingen, denen wir helfen können ihr Wesen zur Erscheinung zu bringen.

Oder haben Sie schon einmal beobachtet, daß Ihr Kugelschreiber schreibt, oder Ihr Computer denkt, oder Ihre Brille von alleine schaut, eben „brillt“?

Und so ist es auch mit jedem Kunstwerk, es kann ohne den Menschen nicht gedacht werden, kann sein Wesen nicht zur Erscheinung bringen, wenn es nicht wahrgenommen wird. Das Kunstwerk entsteht zwischen dem Bild und dem Betrachter.

Nehmen wir nun den Vorgang bei der Kerze: Wärme, Licht, Flüssiges, Festes und übertragen dies auf das Periodische System der Elemente.
Es beginnt mit einer Polarität.
Die beiden ersten Stoffe im System, Wasserstoff und Helium, aus diesen ist auch unsere Sonne zusammengesetzt. Zwei Gase. Ganz leicht, leichter als Luft. Zeppeline werden damit gefüllt. Wasserstoff, ein Element, das sich mit großer Leichtigkeit und Freude mit fast jedem anderen Element verbindet, dagegen das Helium ein Edelgas, es lässt sich nur sehr schwer, nur unter komplizierten Vorgängen mit anderen Elementen verbinden. Haben wir hier bereits Erscheinungen vorliegen die sich auf das Männliche und das Weibliche in der Welt beziehen lassen?

Nun verdichten sich im Periodischen System die Stoffe, sie werden schwerer und das Volumen nimmt im Verhältnis dazu ab. Es tauchen die Elemente Sauerstoff, Stickstoff (noch Gase) aber auch schon Kohlenstoff auf. Am Kohlenstoff lässt sich gut der Verdichtungs- und zunehmende Schwereprozess erkennen. Große Mengen Kohlenstoff werden unter hohem Druck und großer Wärmezufuhr zu einem Diamanten. Und umgekehrt lässt sich ein Diamant unter großer Hitze anzünden, er verbrennt, wird wieder Gas. Weiter abwärts im System erscheinen nun schon die ersten Mineralien: Schwefel, Silicium, Magnesium, aber auch schon das erste Leichtmetall, Aluminium. Die Metalle nehmen zu, werden schwerer: Eisen, Chrom und Kupfer. Der Schwere-und Verdichtungsprozess geht weiter: Zinn, Silber, Antimon. Auf der nächsten Stufe, noch schwerer, das Blei. Welche Heliummenge wird benötigt, um ein Kilo Blei schweben zu lassen?

Nach dem Blei taucht ein eigenartiges Phänomen auf. Die Stoffe werden so schwer, daß sie unter ihrem eigenen Gewicht zerfallen, sie zersetzen sich.
Wie ein Walfisch, der ans Ufer getrieben wird, es fehlen ihm die Auftriebskräfte des Wassers, er wird erdrückt von seiner eigenen Masse.
Plutonium, Radium, Uran sind die Beispiele dafür. Und mit diesem Zersetzen geht einher, daß diese Elemente radioaktiv sind, sie zerstrahlen. Mit diesen radioaktiven Strahlungen stecken sie andere Elemente an, sie bilden Isotope. Jedes andere Element kann davon infiziert werden. Es gibt in der Welt kein Element mehr, das nicht auch als radioaktives vorkommt.

Hier können wir wieder den Menschen ins Bild bringen. Was wir alles für unser Wohlergehen so brauchen: Kleidung, Wohnung, Auto, Wasch- und Spülmaschine, Kühlschrank, Stereoanlage und mindestens einen Fernseher, ein Telefon, ein Handy, Zweitwagen, Freizeitgeräte und ein Eigenheim. Sollte dies ein Bild sein, oder die Ursache für den sozialen Zerfall, für die oben aufgeführten dramatischen Notstände in unserer Welt? Ein Bild für das Zerstrahlen: Wenn wir von oben den Verkehr auf den Autobahnen, die Menschenbewegungen bei Events oder in den Supermärkten ansehen? Ist die Wohlstandsgesellschaft ständig auf der Flucht, zerfällt sie in Einzelwesen auf der ständigen Suche nach „immer mehr Haben und Brauchen“, und ist sie damit auf dem Weg der immer größer werdenden Entfremdung und Isolierung?

Und bilden wir nicht auch Isotope? Ist unser etwas zu neu und groß geratener Neuwagen, unser Eigenheim nicht Anlass für Neid und auch Habenwollen bei den Wenigerprivilegierten? Müssen wir mit viel Material und Konsum vorführen, daß wir es geschafft haben, daß wir glücklich sind? Aber hat nicht jeder erfüllte Wunsch auch viele Kinder, und wird unsere Sehnsucht nach mehr Materie nicht immer größer, und wir immer schwerer?
Sind unsere Eigenheime ein Bild für die Volkskrankheit Krebs? Von jeder gesunden Zelle geht ein leichtes Lichtstrahlen aus. Bei der Krebszelle wird dieses Strahlen nach innen genommen, die Zelle behält alles Licht für sich, und es beginnt ein wucherndes Wachstum. Eigenheimsiedlungen am Rande der Ortschaften bieten ein ähnliches Bild. Parzellen, statt Keimzellen, in denen immer mehr Materie angehäuft wird, keine Wärme wird nach außen abgegeben. Wärmetechnisch, physisch und seelisch, gut isoliert.

Dieses Verdichtungsbild im Periodischen System der Elemente lässt sich übertragen auf den Entstehungsprozess unseres Planeten Erde.

In einen Zustand von schrecklicher Einsamkeit und Kälte strömten Mutkräfte ein, ein erstes Warmes entstand. Bezeichnen wir diesen Zustand mit „Der alte Saturn“. Kein Licht, keine Feuchte, nur Wärme und durch Vorher und Nachher, die Zeit. Diese verdichten sich, durch einströmende Opferkräfte, zum Gasförmigen. Es entstand das Licht, und durch das Innen und das Außen, der Raum - „Die alte Sonne“. Weitere Verdichtung und Schwere, das Flüssige und das Farbige entstand - „Der alte Mond“. Und nun schied sich Festes vom Flüssigen, unsere Erde war geboren und damit die weiteste Fremdheit vom Ursprung aus dem Geistigen.
Und der Tod, als Bestimmung alles Lebendigen, war Wirklichkeit in allem, aber damit entstand auch die Freiheitsmöglichkeit für den Menschen.
Und wie beim Beispiel der Kerze, die entzündet werden muss, um ihr Wesen offenbaren zu können, auch hier die Frage: Wer oder was hat verdichten lassen, hatte den Willen, faßte einen Entschluss und ließ es „urknallen“? Oder anders gefragt, welche Notwendigkeit lag vor, welche Not musste gewendet werden, damit der Inkarnationsprozess unseres Planeten beginnen konnte? Und was wird aus unserem Planeten, wenn die Schwere weiter zunimmt?
Im neuen Teilchenbeschleuniger in Genf wird wohl nach diesem Verursacher oder dieser Verursachung gesucht. Die Situation, eine billionste Sekunde nach dem Urknall, soll simuliert werden, um daraus Schlüsse auf den ultimativen Beginn ziehen zu können.
Alles dies ist nicht dazu angetan mit Freuden in die Zukunft zu blicken.

Aber wie Helium und Wasserstoff, wie Finsternis und Licht, wie das Böse und das Gute, wie das Männliche und das Weibliche und wie das sich Offenbarende und das sich Verbergende, so gibt es zur zersetzenden Kraft der Radioaktivität, als ergänzende Polarität, die Keimkraft.
Will man einen Baum veredeln, z.B. eine wilde Kirsche, so gibt man, um das Verwachsen zu fördern, in die Pfropfstelle zwischen Wildast und Edelzweig ein Weizenkorn. Dieses zerfällt und gibt dabei seine Keimkräfte an den Wachstumsprozess ab.
Wie kam diese Keim- oder Schöpfungskraft in die sich immer mehr verdichtende und verhärtende Welt? Welcher Impuls kommt zur Kerze, damit sie ihr Wesen offenbaren kann? Was geht dem Wasserstoff und Helium voraus? Welche Kraft ist nötig um verhärtete oder sich auflösende Sozialstrukturen neu zu beleben? Was hilft uns durch Krisen und lässt uns Schicksalsschläge annehmen und wandeln? Es ist der schöpferische Geist!
Bei der Jordantaufe senkte sich dieses Geistwesen in einen menschlichen Leib. Es lebte drei Jahre in einem Mensch auf Erden, wurde gekreuzigt, starb und ist nach drei Tagen auferstanden. Damit gab es dieses schöpferische Potenzial an die Erde ab und kann nun von jedem Menschen ergriffen werden.

Nennen wir dieses Organ, mit dem diese Keimkräfte im Menschen ergriffen werden können, sein höheres ICH oder sein höheres Selbst. Diese Kräfte stehen dem Menschen nicht von Natur aus zur Verfügung, sie müssen von ihm in Freiheit und bewusst ergriffen und erarbeitet werden.
Damit der Verhärtungsprozess der Erde und die damit verbundenen sozialen Verhältnisse nicht weiter fortschreiten, muss alles einmal durch die Hände eines schöpferischen Menschen gegangen sein, alles muss einmal „Kunstwerk“ gewesen sein. Der Impuls der Neuwerdung ist der vom Menschen ergriffene Christusimpuls.

Was früher die Emanation Gottes war, ist heute die Schöpfungskraft des freien Menschen. Jeder Mensch ist damit vor die Verantwortung gestellt, sich als radioaktives Isotop oder als Träger der Keimkräfte in die Welt einzubringen und damit Verantwortung zu übernehmen für die Gestaltung und die Zukunft der Welt.
Es sind uns die Tore zum Paradies, durch den Engel mit dem flammenden Schwert, verschlossen. Selber müssen wir nun die Erde in ein neues Jerusalem umgestalten. Und alle Niedergangserscheinungen sind Hinweise darauf, wo neu gestaltet werden kann.

Wir nennen diesen schöpferischen Menschen den Künstler.


Einige von ihnen arbeiten mit Farbe und Leinwand, andere tanzen oder behauen Steine. Aber einige arbeiten mit dem edelsten Material, mit den Menschen. Oft nur im Unschein-baren, im Stillen tätig und wirksam. Es sind Therapeuten, Lehrer, Sozialarbeiter und Ärzte. Aber die Schöpferischen sitzen auch in Büros oder an Computerkassen, es sind Jugendliche und Ausländer oder Briefträger und Fachverkäuferinnen, Rentner und alleinerziehende Mütter. Ihre Gemeinsamkeit zeigt sich in dem Willen, neue Wege gehen zu wollen. Den Ort ihrer Tätigkeit zu nutzen, um schöpferisch tätig zu sein. Denn festzustellen, was mich in einer Situation nicht befriedigt, ist das eine, ein anderes ist es, etwas zu unternehmen, damit sich diese Situation zum Besseren hin ändern kann.
Wenn Sie sich auf die Suche machen nach diesem geheimen Ort, wo die Keimkräfte lagern, dann brauchen Sie kein Reisebüro, Sie müssen in keinen Ashram und in kein Zen Kloster nach Japan. Sie müssen nur bei nächster Krise und Krankheit, oder bei der immer wieder drängenden Frage: „Was ist zu tun?“- innehalten. Denn der schöpferische Prozess kann immer da einsetzten, wo das Alte sich so verhärtet, daß eine Zukunft damit als Fortsetzung nicht möglich scheint. Wo etwas Altes zu Ende geht und das Neue noch nicht zu erkennen ist, da steht der Engel der Kreativität schon hinter Ihnen. Wenn Sie gut lauschen, hören Sie wie er Ihnen zuraunt: „Die Brücke über den Abgrund wächst unter den Füßen des Gehenden.“

Aus dem Bild der Zukunft keine feste Vorstellung bilden und vorsichtig den ersten Schritt in die Luft setzen, feststellen, daß sie trägt, und dann den zweiten Schritt und den dritten. Jeder zu gehende Weg beginnt mit dem ersten Schritt.
Chaos und Krisen sind immer Momente eines möglichen Paradigmenwechsels und des Neubeginns. Das Wort Chaos bedeutet „schöpferischer Urgrund“. Wenn wir in diesem offenen Raum die Frage stellen: Was ist zu tun? - entsteht der Raum für die Verwirklichung.
Der Emanationsprozess: „Herr dein Wille geschehe“ - wird ersetzt durch: „Der Christus in mir.“

Aber damit kein Missverständnis entsteht: die Krise muss durch das Chaos hindurch. Es gibt in dieser Situation keine Abkürzung. Karfreitag die Kreuzigung und Grablegung, Samstag der Tag des Innehaltens und erst am Sonntag die Auferstehung. Durch das Sterben hindurch, dort erst lassen sich die Schöpferkräfte aktivieren.

Für den Sterbeprozess ein Bild: Die Raupe spinnt sich ein. In dieser Puppe ist nichts als eine milchige Flüssigkeit, das Chaos. Erst aus diesem Flüssigen erwächst der Körper des Schmetterlings. Weil die Raupe zurückgeführt ist ins Unbestimmte, ins Bestimmungslose, können die Formkräfte hineinwirken und das Neue, den Schmetterling entstehen lassen.

Vor dem Werden, steht der Wille zum Sein, daraus das Nichts, daraus das Werden und daraus das Dasein.

Nun noch etwas über den bildenden Künstler, wie wir ihn bisher verstanden haben. Da hat einer eine Geige und spielt darauf. Da kauft sich einer Leinwand und Farbe und malt ein Bild. Oder er singt oder er tanzt. Muss das denn Kunst sein? Ist denn einer, der einen weißen Kittel anzieht, auch gleich ein Arzt? Da lassen Kaisers neue Kleider und der Hauptmann von Köpenick manchmal schön grüßen. Es ist nicht das WAS, es ist immer das WIE (wie etwas gestaltet ist), womit neue Qualitäten in die Welt der Erscheinungen eintreten. Teure Ölfarbe ist kein Garant für ein gutes Bild und ein Kunststudium macht noch lange kein Genie. Die Gefahr, dem schmerzhaften Prozess des Neuschöpfens ausweichen zu wollen, kennt jeder der einmal an diesem Abgrund stand. Der Künstler muß in dieser Situation die Macht abgeben, er muß erleben, daß das Neue mit den alten Fähigkeiten nicht hervorgebracht werden kann. Das Erleben der Ohnmacht, das Hineingleiten ins Chaos, da wo das Alte nicht mehr trägt, führt zur Bitte um Hilfe. Und wenn wir geduldig genug sind, stellt sich diese Hilfe ein. Dieser Moment ist immer wieder überraschend und beglückend zugleich. Es geht ein Lächeln durchs Atelier.

Gerhard Richter sagt zu dieser Situation: „Meine Bilder sind klüger als ich.“

Mit klüger ist wohl gemeint, daß sie weiter in die Zukunft reichen als die gegenwärtige Situation des Malers. Wir sind immer in Gefahr, Bilder von gestern zu malen. Wie beim Werdeprozess der Erde eine Situation der Einsamkeit und Kälte, in der Mut nötig ist, damit aus Wärme Licht werden kann. Die Verzweifelung und das Scheitern gehören mit zu den nötigen Geburtswehen. Beim Hineinlauschen, wohin das Bild will, kommt uns etwas aus der Zukunft entgegen. Reichen meine Fähigkeiten aus, um dieser Forderung gerecht zu werden? Kann ich die Verzweiflungskälte und Einsamkeit durch Mut erwärmen, daß mir daraus ein schöpferisches Potenzial erwächst? Laut Joseph Beuys sei ja jeder Mensch ein Künstler. Aber er hat damit nicht gemeint, wir sollen nun alle Bilder malen oder„bildhauern“. Er hat gemeint, daß in jedem Menschen das Potenzial zum Schöpferischen vorhanden ist. Und er kann dieses Schöpferische zum Einsatz bringen, wenn er den Impuls zur Wandlung ergreift. Das könnte bedeuten, er ist nur insoweit ganz Mensch, als er das Schöpferische aktivieren kann. Und auf dieses Hineinbringen von allem Originellen (einzigartig, eigenartig) in die Welt, beruht ja alle Entwicklung. Alles geht durch Verdichtung und zunehmender Schwere auf den Tod zu. Und nur der Mensch kann diese Auferstehung einleiten. Diese Kräfte in uns zu schulen und einzusetzen, ist wohl der Sinn des Lebens. Damit der Mensch ganz Mensch werde, daß er zum Schöpfer wird und die Neugestaltung der Welt als seine Aufgabe begreift und annimmt. Auch das Kunstwerk selber ist kein Statisches, es ist nie ein Fertiges, sondern es entsteht immer wieder neu zwischen dem Bild und dem Betrachter und es läßt damit im Menschen die Organe entstehen, auf daß durch sie die Götter wieder zu uns sprechen können. In dem Maße, wie wir uns der geistigen Welt nähern, kommt uns diese entgegen und kann dann eingreifen in den offenen chaotischen Zustand.

„Das ist es, was wir in dieser Zeit zu lernen haben, zu leben ohne jede Daseinssicherheit, im Vertrauen auf die immer gegenwärtige Hilfe aus der geistigen Welt“. So hat Rudolf Steiner den Moment der Krise und Wandlung charakterisiert. Oder salopper formuliert: „Jede Krise ist auch immer ein lieber Gruß aus der Zukunft.“


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